Sicher in Mathematik – Individuelles und gemeinsames Lernen

In diesem Beitrag möchte meine Erfahrungen und mein Konzept im Umgang mit individuellem und gemeinsamen Lernen im Klassenunterricht teilen. Als Lehrerin an einer Schule in herausfordernder Lage mit einer heterogenen Schülerschaft und vielen Schüler:innen mit nicht deutscher Muttersprache, begegne ich täglich vielen Herausforderungen.

Ich frage mich: Wie kann ich meinen Schülerinnen und Schülern im gemeinsamen Unterricht gerecht werden? Wie kann ich sie mehr in den Unterricht einbeziehen und aktiver beteiligen? Wie kann es gelingen, dass Schülerinnen und Schüler auf ihrem Niveau lernen? Wie kann ich Freiräume für eine unterrichtsintegrierte Diagnose und gezielte Förderung schaffen? Meine Erfahrung ist es, dass viele Kinder meiner Klasse nur schwer einem gemeinsamen, frontalen Unterrichtsgeschehen folgen können. Der unterrichtliche Inhalt zieht an den Kindern spurlos vorbei. Nur weil ich etwas sage, bedeutet es nicht, dass die Kinder dies auch verstanden haben, nachvollziehen oder gar anwenden können. Ein erster Schritt muss meines Erachtens das Loslösen vom gleichschrittigen Frontalunterricht zu mehr offenen Lernsituationen sein. Hier geht es nicht um offenen Unterricht, sondern in erster Linie um ein anderes Selbstverständnis der Lehrerrolle: Weg von der Lehrer:innenzentrierung, hin zu mehr Schüler:innenzentrierung und die Anbahnung von mehr Selbstvertrauen bei den Schülerinnen und Schülern. Aber wie kann das im Alltag gelingen?

Wichtige Stellschrauben auf dem Weg zur Öffnung von Lernsituationen im Mathematikunterricht sind die Gestaltung des Klassenraums und die Nutzug der Lernsituationen sowie das Sebstversändnis der Lehrkraft als Lernprozessbegleitung.

Klassenraumgestaltung

Mein Klassenraum bietet räumliche Zonen für verschiedene Aktivitäten, die während des Lernens genutzt werden können und sollen. Es gibt den „roten Teppich“. An diesem zentralen Platz im Klassenraum lässt sich ganz schnell ein Stuhlkreis oder Sitzkreis (auf dem Boden) bilden. Hier findet der gemeinsame Einstieg in das mathematische Thema oder die Problementfaltung satt. Die individuelle Erarbeitung der Problemstellung und der kooperative Austausch können an den Gruppentischen bzw. Einzelplätzen stattfinden. Auch der „rote Teppich“ kann als Ort für Austausch-Phasen oder individuelles Lernen genutzt werden. Es ist möglich auch alternative Plätze (Rückzugsorte), wie beispielsweise Tische im Flur oder Sitzecken im Klassenraum anzubieten. Der an den Klassenraum angegliederte Gruppenraum bietet einen Rückzugsort für Diagnose- und Fördergespräche.

Offene Regale und Ablagen sind für die Kinder leicht zugänglich und bieten das didaktische Material, das sie zum verstehensorientierten Erarbeiten der jeweiligen mathematischen Kompetenzen benötigen.

Offene Lernsituationen im Mathematikunterricht – Lernlandkarte und Mathestarter 

Durchweg gute Erfahrung habe ich mit verstehensorientierten und handlungsbegleitenden Unterrichtseinstiegen, sogenannten Mathestartern und einem kompetenzorientierten Lernweg gemacht.

Mathestarter sind gemeinsame Unterrichtseinstiege. Sie ermöglichen eine gemeinsame Orientierung, Erkundung und eine Problementfaltung auf verschiedenen Anforderungsniveaus zu einem mathematischen Thema. Innerhalb der Einstiegsphase passe ich die Fragestellungen an die individuellen Voraussetzungen der Lerngruppe und speziell an das Können einzelner Kinder an. Ich stelle Fragen und gebe Denkanstöße auf verschiedenen Anforderungsniveaus, die ich auch individuell an einzelne Kinder richte. Durch die Erweiterung und Reduktion der Einstiegsaufgabe öffne ich Problemstellung und erreiche eine Beteiligung vieler Kindern. Im Anschluss an den Mathestarter bearbeiten die Kinder weiterführende oder wiederholende Aufgaben zur Einstiegsaufgabe oder arbeiten auf ihnrem individuellen Lernweg anhand der Lernlandkarte und mit Hilfe eines Arbeitsplans weiter.

Die Mathestarter stehen im Seiten-Menü zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Möglicher Unterrichtverlauf zum gemeinsamen und individuellen Lernen

Ein Beispiel aus dem Anfangsunterricht

Die Kinder der Klasse sitzen im Stuhlkreis. In der Mitte liegen verschiedene Gegenstände (Münzen, Streichhölzer, Muggelsteine, Holzwürfel, Plättchen etc.). Diese können verschieden angeordnet sein (z.B. paarweise, mit 5er Struktur, immer 3er, etc.). Die Lehrkraft hält Zahlenkarten bis 10 bereit. Die Aufgabe der Kinder soll es sein, die Zahlenkarten den entsprechenden Anzahlen an Gegenständen zuzuordnen. Alle Kinder erhalten ausreichend Zeit, sich die aufgebauten Gegenstände anzuschauen. Dabei entscheidet die Lehrkraft, ob sie es jetzt bereits zulässt, dass einzelne Kinder aktiv durch Verschieben der Gegenstände zählen. Die Lehrkraft fragt gezielt nach den Anzahlen verschiedener Gegenstände und nach einer Begründung. Sie achtet dabei auf eine hohe Schüler:innenbeteiligung. Um dies zu erreichen nimmt sie die vermeindlich schwächeren Kinder zuerst dran, um die Karten zuzuordnen und ihre Entdeckungen zu beschreiben. Die Kinder können ihre Entdeckung beispielsweise durch Abzählen der Gegenstände oder durch Zeigen von Zahl-Zerlegungen begründen. Das Begründen der eigenen Entdeckungen ist von zentraler Bedeutung.

Im Anschluss können einige Kinder auf dem Teppich weiterarbeiten und eigene Gegenstände, wie Stifte, Pinsel, Hefte, zu holen und diese den Zahlen entsprechend zuzuordnen. (Gemeinsames Lernen – Kooperativer Austausch)

Eigene Zahlensonne, Quelle: Juli 2019 © PIKAS kompakt (pikas-kompakt.dzlm.de)

Auf einer Zahlensonne können Kinder Zahlen auf verschiedene Weise darstellen. (Individuelles Lernen – individuelle Erarbeitung der Problemstellung)

Zahlensonne aus:
Juli 2019 © PIKAS kompakt (pikas-kompakt.dzlm.de)

https://pikas-kompakt.dzlm.de/sites/pikaskp/files/uploads/08-ZahlvorstellungenAnfangsunterricht/zahlvanf_zahldarstellungen.pdf

Lernlandkarte zum kompetenzorientierten Arbeiten 

Die Lernlandkarte zeigt den Schülerinnen und Schülern den Lernweg durch die artithmetischen Basiskompetenzen im Zahlenraum bis 20. Jede Kompertenz wohnt in einem eigenen Haus. Der Lernweg ist durchnummeriert. Zu jeder Kompetenz gibt es einen Mathestarter mit der selben Nummer. Im Konzept des individuellen und gemeinsamen Lernens, bietet die Lehrkraft in ihrem Unterricht verschiedene Mathestarter zu einer mathematischen Kompetenz an. Im Anschluss erfolgt die individuelle Erarbeitungsphase und ein kooperativer Austausch der Kinder über die erarbeiteten Erkenntnisse. Optional bearbeiten einzelne Kinder weiterführende Aufgaben (Erweiterung) oder wiederholen Aufgaben, um noch nicht vorhandene Kompetenzen weiter zu festigen (Reduktion). Die Kinder durchlaufen den Lernweg im eignen Tempo. Dabei liegt die Kunst darin, die Lerngruppe nicht zu weit „auseinanderlaufen“ zu lassen. Um dies zu verhindern können schwächere Kinder in der additiven Förderung Kompetenzen mit Hilfe der Aufgaben aus der Förderkartei 1 aufholen. Es braucht vielfältige Erweiterungsaufgaben für Leistungsstarke und fleißige Schülerinnen und Schüler, damit diese die Möglichkeit bekommen, die mathematischen Kompetenzen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Häufig steckt ein Mehrwert in der Eigenproduktion einer Aufgabe, wie z.B. im oben gezeigten Mathestarter, Kinder eigene Zahlensonnen legen oder zeichnen zu lassen. Auch sparchliche Herausforderungen wie beispielsweise Erkläre deine Vorgehensweise oder zeige, warum das so richtig sein muss, können eine sinnvolle Erweiterung und Herausforderung für leistungsstarke Schüler:innen darstellen. Die Schülerinnen und Schüler durchdringen auf diese Weise mathematische Inhalte oft tiefer.

Alle Mathestarter und vielfältige Materialien zur Erweiterung und Reduktion mathematischer Kompetenzen sowie Stamdortbestimmungen habe ich auf einer TaskCard zusammengestellt.

TaskCard mit allen Inhalten zum Lernweg – Sicher in Mathematik 1 

Die TaskCard beinhaltet den Lernweg – Sicher in Mathematik 1 und eine Zusammenstellung verschiedener Erweiterungs- und Vertiefungsübungen zu den einzelnen Kompetenzen des mathematischen Lernwegs. Hier befinden sich auch noch einmal alle Mathestarterkarten sowie Standortbestimmungen und Material zur handlungsorientierten Bearbeitung durch Schülerinnen und Schüler.

Die TaskCard befindet sich im Aufbau und wird kontinuierlich erweitert.

https://www.taskcards.de/#/board/561c8d6f-22b5-429b-89ae-63080c4869d7?token=13fb7a5e-7912-439f-aed8-5d4739cca9a5